Harald Semler:

Herr Semler, nach der Wahl 2011 galt die Fraktion der Freien Wähler als Verlierer. Heute gehören Sie wieder zur Regierungskoalition. Da stellt sich automatisch die Frage, war die Wahlniederlage in 2011 doch eher Segen denn Fluch?

Nun, das Ergebnis der Kommunalwahl 2011 war, so glaube ich, für alle politischen Akteure so nicht erwartet worden. Im Ergebnis dürfen wir heute feststellen, dass unsere sachbezogene Politik und unser fairer und vertrauensvoller Politikstil im Umgang mit allen politischen Mitbewerbern maßgeblich mit dazu beigetragen hat, dass wir auch nach dem Machtwechsel im Rathaus verlässlicher Regierungspartner sind. Jetzt schon seit 1993 deutlich über 20 Jahre ohne Unterbrechung.

In Ihren Arbeitsbereich als Baudezernent fallen viele Projekte. Oft setzt es große Kritik, bisweilen werden sogar Falschaussagen getätigt. Was zeichnet denn Ihr Wirken und Ihre Arbeitsweise aus?

Ja, mein Verantwortungsbereich interessiert die Bürger. Da gibt es viele konfliktreiche Themen und meistens geht es um große Summen. Mir ist wichtig, dass bei allen Themen, die zur Entscheidung anstehen, zunächst die fachliche Auseinandersetzung zu erfolgen hat. Dabei sind mir zwei Punkte besonders wichtig. Zum einen halte ich Alternativenprüfungen für unumgänglich. Selbst wenn wir im Ergebnis die Entscheidung treffen sollten, die von vornherein gewünscht war. In diesem Fall steht das Ergebnis jedoch dann auf breiter, transparenter Basis mit Tiefgang. Zweitens halte ich es für grundsätzlich erforderlich, realitätsnahe Zahlen von Fachleuten  erarbeiten zu lassen. Ein gewisser Risikoaufschlag hat außerdem in der politischen Entscheidungsfindung von Anfang an Berücksichtigung zu finden, um keine Überraschung während der Bauphase zu erleben. Hierbei ist mir zudem wichtig, dass für die Entscheidungsfindung genügend Zeit sowohl für Ehrenamt als auch die Öffentlichkeit zur Verfügung steht.

Sie sprechen von Vertrauen und Verlässlichkeit und konzeptioneller, zukunftsorientierter Planung. Können Sie dies vielleicht anhand von Projekten wie ISEK, Parkraumkonzept oder der Alten Lahnbrücke erläutern?

ISEK, Parkraumkonzept und Alte Lahnbrücke sind zwar jeweils eigene Themen. Tatsächlich gibt es jedoch klare Zusammenhänge, z.B. ist die Steigerung der Aufenthaltsqualität in unserer Stadt eine klare Vorgabe des ISEK. Diese Vorgabe muss uns beim Erarbeiten des Parkraumkonzeptes leiten. Das bedeutet klare, einfache, verständliche Regeln und Optimierung der Parkraumbewirtschaftung. Die in diesem Zusammenhang thematisierte Besucherlenkung federt die Entscheidung zur Alten Lahnbrücke enorm ab. Der Blick auf ein gesamtes Gebiet anstatt auf einen einzelnen Punkt hilft da nachhaltig.

Können die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Wetzlar auch beim Projekt IKEA auf diese Verlässlichkeit und Konzeptionalität zählen und wenn ja, wie sieht das konkret aus?

IKEA ist ein gutes Beispiel für die Vielfalt der Interessenlagen. Mein Anspruch ist, gegenüber der Öffentlichkeit unsere Entscheidungen zu erläutern und die unterschiedlichen Ansprüche sauber abzuwägen. In diesem Fall ist die Verkehrsabwicklung von besonders großem öffentlichen Interesse. Die Details werden deshalb im Rahmen von Bürgerinformationen vorgestellt und erläutert. Auch ist die Stärkung unserer Innenstadt wiederum durch begleitende Maßnahmen wie z. B. die Erarbeitung des Rahmenplanes Bahnhofstraße und das Konzept zur Integration der Lahn in das Stadtbild ein konkreter Nachweis, dass wir konzeptionell unsere Stadtentwicklung befördern.

Auch die Projekte „Rasselberg“, C&A Gelände und Westend/Spilburg tragen Ihre die Handschrift der Freien Wähler. Nenn Sie uns bitte die Besonderheiten und Unwägbarkeiten, die es zu bewerkstelligen galt?

Bei jedem Thema, was Nachbarschaftsinteressen berührt, kommt automatisch emotionale Betroffenheit zu Tage. Mit diesen persönlichen Interessenlagen umzugehen, ist eine besondere Herausforderung für mich. Einerseits, denke ich, darf das legitim sein, sich gegen ein Vorhaben zu stellen, andererseits ist insbesondere der zuständige Dezernent gefordert, an der Entwicklung des Allgemeingutes zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass Einzelinteressen genau diese Fortentwicklung nicht verhindern. Konkret zu diesen Themen Rasselberg und C&A-Gelände, den Wahlheimer Weg nicht zu vergessen, bin ich überzeugt, die richtige Arbeitsweise verfolgt zu haben, in dem ich aus Prinzip nicht Einzeldiskussionen führe, ohne sie in einen Gesamtkontext zu stellen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir uns mit der Thematik ganzheitlich beschäftigt haben, in dem wir die Frage von Wohnraum im Allgemeinen und Bauland im Speziellen auf der Grundlage des Innenstadtentwicklungskonzeptes miteinander konstruktiv begleitet haben.

Was sind die Projekte, die für den Rest der Legislatur auf Ihrer Agenda stehen und wie werden sie realisiert?

Zunächst erwähne ich hierzu ein Themenfeld, was aus meiner Sicht zwar eine fundamentale Bedeutung hat, nicht aber wirklich von Außen wahrgenommen werden kann. Und zwar ist das die dezernatsinterne Organisation und damit die Frage des Einsatzes von Personalressourcen. Hieran werden wir im Dezernat weiter engagiert arbeiten wie in den zurückliegenden 3 Jahren auch. Ziel hierbei ist es, Prozessabläufe weiter zu optimieren und interne Reibungsverluste zu verringern. Nur am Rande erwähnt, haben in den zurückliegenden 2,5 Jahren in meinem Bau- und Wirtschaftsdezernat 8 Leitungskräfte ihre Positionen verlassen. Die Neubesetzung war erforderlich. Dass dies so reibungslos neben der unglaublichen Wucht von Arbeit so geräuschlos vonstattengegangen ist, macht mich sehr dankbar.

Die Ansiedlung von IKEA und damit eine ganz entscheidende Stadtreparatur auf der HC-Brache steht allerdings ganz oben auf der Prioritätenliste.

Die Integration der Wasseradern in das Stadtbild halte ich für eine langfristig angelegt notwendige Themenstellung, die mir insoweit wichtig ist, als dass sie konzeptionell anzugehen gilt. Das größte Thema, was schon kaum noch in unserem Bewusstsein ist, ist die Versorgung unserer Haushalte und insbesondere unserer Betriebe mit Breitband im gesamten Stadtgebiet. Direkt darauf folgt die zwar ungeliebte, aber unbedingt erforderliche Sanierung unseres Kanalnetzes. Nach jedem größeren Gewitterregen ist im Rathaus zu spüren, wie wichtig unseren Bürgern dieses Thema ist. Vor allem, wenn das Wasser nicht so abläuft wie man gemeinhin erwartet. Der weitere Ausbau Wetzlars als Hochschulstandort hat auf der Agenda einen besonders hohen Stellenwert, insbesondere die Ansiedlung eines Optikinstitutes im Zusammenhang mit dem geplanten Studiengang Optik. Ein Thema, was mich persönlich ungemein freut und die Stärkung des Wirtschaftsstandortes Wetzlar beflügelt. Das enorme Engagement der Wirtschaft zur Schaffung der hierfür notwendigen Stiftungsprofessur kann nicht genug gewürdigt werden. Auch die Begleitung der Umsetzung des Parkraumkonzeptes ist eine tolle Herausforderung wie auch die Erarbeitung des Rahmenplanes Bahnhofstraße. Auch der Westanschluss darf nicht vergessen werden. Ich freu mich drauf.

Christa Lefèvre:

Seit Ende Juli sind die Freien Wähler vom Kooperationspartner zum Koalitionspartner        aufgestiegen. Wie kam es dazu?

Von Beginn der Legislaturperiode 2011 an waren wir in der Koalition/Kooperation gleichwertige Partner. Dies zeichnete sich durch eine gute, vertrauensvolle, faire und sachorientierte Zusammenarbeit auf Augenhöhe aus. Wir haben von Anfang an Koalition gelebt, sie wurde jetzt nur besiegelt.

Also sind die Koalitionspartner von SPD und Büdnis 90/Die Grünen auch auf Sie zugegangen und haben Ihnen eine Mitarbeit angeboten?

Da wir von Anfang an Koalition gelebt haben, war es auch im Sinne unserer Partner, dass dieses gute Miteinander vertraglich geregelt wurde

Harald Semler meint, die Verlässlichkeit, die sachorientierte und umgängliche Art der Freien Wähler werde sehr geschätzt. Aus der Sicht der Fraktionsvorsitzenden, können Sie dies einmal konkreter beleuchten?

Wir wurden von Anfang an als gleichberechtigte Partner geschätzt. Alle anstehenden Themen wurden in den regelmäßig stattfindenden Koalitions- / Kooperationsrunden ausführlich diskutiert. Hier war selbstverständlich die Meinung eines jeden Partners, also auch unsere, gefragt. Wir waren immer erstklassige Gesprächs- und Verhandlungspartner.

Sie sind nun schon sehr viele Jahre in verantwortlicher Position bei den Freien Wählern. Was hat sich in den vergangenen Jahren alles verändert, wieso gelten die Freien Wähler mehr denn je als starke politische Kraft?

Alleine das Mitregieren mit unserem Dezernenten an der Spitze macht uns stark. Auch in den vergangenen Jahren hat uns das Mitregieren stark und selbstbewusst gemacht. Das muss auch in Zukunft so bleiben.

Oft werden, nennt man die Freien Wähler, nur Ihr Name und der von Herrn Semler genannt. Wie bewerkstelligen Sie beide den ganzen Arbeitsaufwand, wer unterstützt Sie?

Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass Herr Semler als Bau- und Wirtschaftsdezernent sehr häufig im Fokus der Öffentlichkeit steht. Aber auch ich, als Fraktionsvorsitzende, stehe oft in der Öffentlichkeit. Wir werden als erste von der Presse angesprochen und oft zitiert. Auch die anderen Fraktionsmitglieder und viele Vereinsmitglieder sind in den verschiedensten städtischen Gremien für uns aktiv. Hier sind auch die Ortsbeiräte in den Stadtteilen zu nennen, in denen die Freien Wähler stark vertreten sind.

Zum Schluss, was wünschen Sie sich hinsichtlich der zweiten Phase der Legislatur sowohl politisch, aber auch persönlich für Sie und Ihre FWG?

Ich wünsche mir, dass wir weiterhin so aktiv sind wie bisher, dass wir uns immer an der Sache orientieren und dem Bürger ehrlich gegenübertreten. Selbstverständlich wünsche ich mir, dass wir auch in der nächsten Legislaturperiode mitregieren.