Das Thema Straßenbeiträge haben wir hier und in den Gremien in den vergangenen Jahren mehrfach und intensiv diskutiert. Es handelt sich fachlich um eine äußerst anspruchsvolle Materie. Hinzu kommt, dass – besonders in der Öffentlichkeit und dabei vor allem in den sozialen Medien – die sachliche Ebene schon lange verlassen und eine Emotionalität erreicht wurde, die ich bislang selten so erlebt habe. Ähnlich wie bei den Domhöfen.
Um ein wenig Überblick in die facettenreichen Problemstellungen zu bringen, möchte ich meinen Redebeitrag wie folgt strukturieren:
1. Was wir uns wünschen?

  1. Was wir uns wünschen?
  2. Was wir haben?
  3. Welche Spielräume es für uns gibt?

Zunächst: Was wünschen wir uns?

Als die Diskussion in der Öffentlichkeit begann, kam schnell der Ruf nach wiederkehrenden Straßenbeiträgen auf. Eine Petition mit etwas über 1.300 Unterschriften wurde übergeben, wovon rund 300 der Unterzeichner gar nicht in Wetzlar leben. Schon damals habe ich mich gefragt: Was halten denn die übrigen 52.000 Einwohner aus Wetzlar von den wiederkehrenden Straßenbeiträgen? Wie weit geht denn tatsächlich die vehement eingeforderte Solidarität? Ich habe bis heute noch nichts von einer Unterschriftenliste z.B. aus Blasbach gehört, die gerne die Straßen in Münchholzhausen mitbezahlen möchten.
Dann wandelte sich das Bild in der öffentlichen Meinung und die Straßen sollten überhaupt nichts mehr kosten. Dabei müsste doch eigentlich jedem klar sein, dass – unabhängig davon auf welcher Ebene unseres Staats die Kosten entstehen – sie je nach Verteilungsmechanismus irgendwann beim Bürger ankommen werden. Straßen zum Nulltarif gibt es nicht und wird es auch nicht geben.
Deshalb war es auch keine große Hilfe für uns, als der Landtag am 28.05.18 die Erhebung von Straßenbeiträgen von einer Soll- auf eine Kann-Vorschrift herabgestuft hat. Insofern danke ich ausdrücklich Herrn Schäfer für seinen klaren Leserbrief in der WNZ.
Umso wichtiger ist es jetzt, dass wir heute mit Mehrheit eine Resolution beschlossen haben und den Landesgesetzgeber nochmals eindeutig zum Handeln auffordern. Ich bin gespannt, wie sich unsere hier vertretenen Landtagsabgeordneten aktiv in Wiesbaden für dieses Thema einsetzen.
Aber, solange die Finanzierung für die Straßenerneuerung nicht durch das Land übernommen wird, müssen wir die Kostentragung hier vor Ort selbst lösen. Ein Model wie in Gießen, kann es angesichts unserer Haushaltslage nicht geben. Wenn wir uns von den einmaligen Straßenbeiträgen verabschieden wollen, müssen wir parallel eine Kompensation einführen.

Das bringt mich zu der Frage: Was haben wir für eine Regelung?

Die einmaligen Straßenbeiträge gibt es bei uns seit 1979. Zuletzt haben wir gemeinsam die Straßenbeitragssatzung 2013 renoviert. Wir können also auf eine jahrzehntelange Rechtsanwendungspraxis und eine gerichtserprobte Straßenbeitragssatzung zurückblicken.
Gerade weil die Einmalbeiträge solange Konsens waren, wundert es mich umso mehr, dass sie jetzt plötzlich bei einzelnen Bauvorhaben so skandalisiert werden. Bemerkenswert ist dabei auch, dass es immer noch Straßen gibt, wo die Abrechnung weiterhin völlig unstreitig läuft.
Schnell wird da von Enteignung gesprochen. Wer sich aber auf Artikel 14 Grundgesetz beruft, der sollte die Norm auch vollständig lesen. Abs. 2 lautet: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“.
Auch wird häufig einfach nur der prognostizierte Beitrag genannt, um dann zu wettern, wie unverschämt hoch dieser sei. Der zugrundeliegende Sachverhalt geht dabei völlig verloren. Es sind eben nicht alle Grundstücke gleich zu behandeln.
Ein großes Grundstück mit Mietgeragen, Gewerbeeinheiten und Mietwohnungen kann nicht genau so herangezogen werden wie ein Einfamilienreihenmittelhaus, was auf einem Grundstück schmal wie ein Handtuch steht. Aber vielleicht sind die Sachverhalte so komplex, dass sie sich nicht gut auf Plakaten machen. Oder zu viele Fakten stören schlicht und einfach bei der Meinungsbildung.
Unabhängig davon steht es zudem jeden frei, gegen Beitragsbescheide vorzugehen und im Zweifel die Gerichte damit zu befassen. So lässt sich klären, ob die Stadt tatsächlich falsch abrechnet oder goldene Kanaldeckel verbaut – wie so oft behauptet wird. Dass es anscheinend nicht so ist, belegen die Zahlen zu rechtsbehelfsbefangenen Beitragsbescheiden und dem Ausgang der Verfahren.
Gerne wird auch behauptet, dass der Einmalbeitrag anders als die Grundsteuer nicht durch den Mieter getragen würde. Richtig daran ist, dass der Vermieter die Grundsteuer als Umlage in den Nebenkosten an den Mieter weiterbelasten kann. Dies ist für den Einmalbeitrag nicht zulässig. Dennoch wird ein Vermieter Straßenbeiträge genauso wie neue Fenster, ein neues Dach oder eine neue Heizungsanlage in seine Rentabilitätserwägungen mit einpreisen müssen. Damit ist der Straßenbeitrag in der Kalkulation der Kaltmiete enthalten.
Auch die Mär, dass die Stadt durch die Beitragserhebung einsame, alte Großmütter aus ihren Häusern vertreiben würde, lässt sich nicht mit einem Sachverhalt untermauern. Vielleicht kann der Kämmerer noch kurz die Zahlen beisteuern, in wie vielen Fällen tatsächlich wegen einem Straßenbeitrag die Zwangsvollstreckung betrieben und in wie vielen Fällen das Grundeigentum verwertet wurde. Hier werden Horrorszenarien aufgebaut einzig mit dem Ziel, die Einmalbeiträge loszuwerden.

Das bringt mich zur dritten Frage: Welche Spielräume gibt es für uns jetzt?

Dass wiederkehrende Straßenbeiträge sich für uns in Wetzlar nicht rechtssicher umsetzten lassen, ist – so habe ich der Diskussion in den letzten Monaten entnommen – Konsens.
Einen über die Variante hinausgehenden Spielraum haben wir tatsächlich erst seit der Entscheidung des Landtages am 28.05.18, wonach wir ab dem 07.06.18 von der Erhebung von Straßenbeiträgen absehen können. Wenn wir über einen Systemwechsel in Wetzlar reden, dann ist dieses Datum für mich auch der einzige richtige Zeitpunkt.
In der Folgezeit haben wir viele Vorschläge diskutiert. Wir haben angedacht die Einmalbeiträge durch kleinere Maßnahmen z.B. bei der Entwässerung und bei der Beleuchtung zu entlasten. Dies wäre aber keine grundlegende Lösung gewesen.
Zudem mussten wir immer die Gegenfinanzierung im Auge behalten. Der Gesetzgeber hat uns nämlich nicht von der Pflicht zum Haushaltsausgleich entbunden.
Deshalb wäre bei einer Veränderung der Prozentsätze bei den Einmalbeiträgen, auch eine Kompensation z.B. bei der Grundsteuer nötig gewesen. Hier hätten aber wieder die Schwierigkeit, dies rechtssicher zu gestalten.
Auch wurde eine Nachhaltigkeitssatzung ins Gespräch gebracht, um die Einmalbeiträge abzulösen. Dies geschah aber zu einem Zeitpunkt, als noch gar nicht absehbar war, welche Belastungen durch einen Generationenbeitrag auf den Bürger zukommen könnten. Heute wissen wir, dass es einen Erhöhungsbedarf von etwa 770 Punkten bei der Grundsteuer ausmachen würde. Dies ist eine für den Bürger nicht zu vermittelnde Belastung.
Als einzige, vernünftig darzustellende Lösung bleibt für mich, wenn wir denn einen Systemwechsel wollen, nur eine komplette Gegenfinanzierung durch die Erhöhung der Grundsteuer.
Aber auch dies birgt für uns Probleme und Risiken:
Zunächst einmal gibt es bei der Einnahmenbeschaffung den Grundsatz, dass Gebühren vor Beiträgen gehen und Beiträge vor Steuern. Wir sind jetzt gerade dabei von Beiträgen auf eine Steuerfinanzierung zu wechseln. Dies scheint der Landesgesetzgeber aber zu tolerieren.
Ein weiteres Problem ist, dass die Steuererhöhung statisch ist. Sie reicht jetzt aus, um die Bauvorhaben zu finanzieren. Die Baupreise werden aber künftig steigen. Wenn wir dann keine Abstriche bei den Bauvorhaben vornehmen wollen, müssen wir regelmäßig prüfen, ob die Grundsteuer noch ausreicht und ggf. diese anpassen.
Hinzu kommt, dass wir keine Art Sondervermögen für den Straßenbau bilden können. D.h., wir müssen alle zusammen peinlich genau darauf achten, dass das Geld aus der Steuererhöhung auch tatsächlich im Straßenbau landet. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die eine oder andere Begehrlichkeit hier im Haus entsteht, das Geld anderweitig zu verwenden.
Auch bei den Bürgern könnte sich die Argumentation grundlegend ändern: Jetzt heißt es noch: Meine Straße ist tiptop in Ordnung und muss auf keinen Fall saniert werden. Künftig heißt es vielleicht: Meine Straße ist die schlimmste und muss zuerst saniert werden. Auch hier könnte der eine oder andere von uns geneigt sein, seinem Stadtteil eine Wohltat zukommen zu lassen.

 Insgesamt müssen also sowohl wir hier in der Stadtverordnetenversammlung, als auch die Bürger selbst sehr diszipliniert mit dem neuen Recht umgehen.
Dann könnte es funktionieren. Aber es ist schon ein ziemliches Dilemma. Wir müssen uns mal wieder zwischen Pest und Cholera entscheiden. Um auf mein Eingangszitat zurückzukommen:
Populärer als die Einmalbeiträge wird die Grundsteuererhöhung garantiert nicht sein. Ob sie fairer ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Eigentlich war ich ja immer ein Verfechter der Einmalbeiträge. Wenn ich mir aber anschaue, was um uns herum geschieht, fürchte ich, dass die Lösung über die Grundsteuererhöhung momentan der einzig gangbare Weg ist. Deshalb werde ich zustimmten.

 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.